Sporttherapie und Sportprogramme

Gerinnungsstörungen und Sportmedizin

Körperliche Aktivität ist bei Menschen mit Hämophilie oder Von‑Willebrand-Syndrom (VWS) von größter Bedeutung: Gezielte Bewegung
trägt dazu bei, die körperliche Leistungsfähigkeit und ein gesundes Körpergewicht aufrecht zu erhalten sowie die Muskeln und die
Knochendichte zu stärken.1,2 Welche Effekte regelmäßiges Training insbesondere auf die Gelenkgesundheit haben kann, welche Sportarten
geeignet sind und was Betroffene bei der Ausübung beachten sollten, lesen Sie im Kapitel „Fitness“.

Die Blutungssymptomatik führt bei Betroffenen häufig zu orthopädischen und muskulären Skelettschäden.3 Daher sollten
bewegungstherapeutische Maßnahmen ein fester Bestandteil von Therapieplänen sein. Hierzu gehören neben individuellen Verordnungen
etwa für Physiotherapie auch Sport- und Bewegungsempfehlungen für den Alltag.3,4

img

Supervision und Begleitung

Ein guter Einstieg in therapeutisch wirksame Bewegung beinhaltet eine Anleitung durch speziell ausgebildete Expert:innen für Medizin,
Sportmedizin sowie Physio- und Sporttherapie. So können Teilnehmende z. B. von Anfang an Bewegungsabläufe ergonomisch und
gelenkschonend ausführen.5

Neben Physiotherapie ist für solch einen angeleiteten Einstieg auch eine Sporttherapie geeignet. Unter Sporttherapie versteht man eine
ärztlich verordnete Bewegungstherapie, die auf den motorischen Fähigkeiten der einzelnen Patient:innen aufbaut.4 Ziel ist es, die
Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern.6,7 Sporttherapeutische Programme werden von
Sporttherapeut:innen speziell für die Betroffenen konzipiert und angeleitet. Diese Kurse werden in der Regel als Gruppentraining
angeboten und anschließend als Einzeltraining, zum Beispiel zu Hause, durchgeführt.6

Vor Beginn der praktischen Übungen erfolgt in der Regel eine sportmedizinische Bewertung, bei der vor allem der Gelenkstatus, die
individuelle Beweglichkeit der Gelenke sowie Kraft und Ausdauer gemessen werden. Bei der Erstellung personalisierter Trainingspläne
werden auch mögliche Verletzungsrisiken und Einschränkungen berücksichtigt. Im Anschluss werden die therapeutischen
Zielvereinbarungen festgelegt: Dazu gehören u. a. die Verbesserung von Fitness und Gelenkmobilisation und gegebenenfalls
Gewichtsmanagement.8

Die Teilnehmenden werden von den Sporttherapeut:innen in enger Zusammenarbeit mit dem Behandlungsteam durch den gesamten
Prozess begleitet:

  • Die fachliche Anleitung während des Trainings dient u. a. der Korrektur und Optimierung der Bewegungsabläufe. Hierbei können z. B.
    physiotherapeutische Elemente in die Übungen integriert werden, die zur Verletzungsprophylaxe geeignet sind.
  • Eine individuelle Beratung bzw. Supervision durch Sporttherapeut:innen und medizinische Fachkräfte kann auch den Umgang mit Ängsten und Unsicherheiten verbessern. Dadurch kann auch das Selbstvertrauen der Teilnehmenden und ihr Zutrauen in ihre körperlichen Fähigkeiten gestärkt werden.4,6

Strukturierte Programme und Programmierte Sporttherapie (PST)

Das Ziel strukturierter Programme ist es, sporttherapeutische Schlüsselkompetenzen bei Menschen mit individuellen körperlichen
Einschränkungen zu entwickeln. Durch das Training sollen die Patient:innen Schritt für Schritt in die Lage versetzt werden, ihr Training
selbst zu steuern. Dabei werden die Teilnehmenden kontinuierlich von einem erfahrenen Team unterstützt und begleitet.4

Trainiert werden dabei vier motorische Grundfähigkeiten: Kraft, Koordination, Ausdauer und Beweglichkeit, die von zentraler Bedeutung für
die körperliche und teilweise auch für die psychische Gesundheit sind.6,4

Die Sporttherapie setzt sich aus folgenden Elementen zusammen:9,4

  • Körperwahrnehmung schulen: Gezielte Übungen in Kombination mit Atem- und Koordinationstraining bilden die Basis. Zusammen
    können diese die eigene Bewegungsempfindung verbessern und zum Abbau von Fehlbewegungen beitragen.
  • Gelenkmobilisation: Dabei steht das Erlernen von ergonomischen Bewegungsabläufen, die den Bewegungsradius der Gelenke
    verbessern können, im Vordergrund.
  • Muskeltonus (Muskelspannung) regulieren zur Entlastung betroffener Gelenke, u. a. mithilfe von Dehnungs- und
    Entspannungstechniken.
  • Muskelkraft verbessern durch sanftes Krafttraining.
  • Individuell dosiertes Ausdauertraining: Zum Beispiel Nordic Walking, Aquajogging oder Training auf dem Heimtrainer stärken das
    Herz-Kreislauf-System und den Stoffwechsel.

Bei der Programmierten Sporttherapie (PST) handelt es sich um ein spezielles Hybridmodell, das aus zwei Komponenten besteht: Im
Rahmen eines zweimal jährlich stattfindenden Sportcamps erhalten die Teilnehmenden wichtige Hintergrundinformationen zum Thema
„Training mit Ihrer Erkrankung“ und erlernen die für sie persönlich angepassten Übungen unter der Anleitung von Expert:innen. Ihren
individuellen Trainingsplan können die Patient:innen dann selbstständig zu Hause unter (digitaler) Supervision weiter verfolgen und tägliche
Übungen so zu einem festen Bestandteil ihres Alltags machen.

Tipp

Das Sporttherapieprogramm „Haemophilia in Motion“ basiert auf der PST und wurde speziell für Jugendliche und
Erwachsene mit Hämophilie oder anderen Blutungsneigungen entwickelt. Für Patient:innen wird z. B. regelmäßig eine
Online-Bewegungsstunde angeboten. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Referenzen

  1. Mehta P, Reddivari A: Hemophilia. [Updated 2023 Jun 5]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2023 Jan-.

    Available from: (abgerufen am: 10.11.2023): https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK551607/ (abgerufen am 04.03.2024).
  2. Atiq F, Mauser‐Bunschoten EP, Eikenboom J, et al.; for the WiN study group. Sports participation and physical activity in patients with von Willebrand disease. Haemophilia.
    2019;25:101–108. https://doi.org/10.1111/hae.13629 (abgerufen am 04.03.2024).
  3. Wagner, B., Seuser, A., Krüger, S. et al. Establishing an online physical exercise program for people with hemophilia. Wien Klin Wochenschr 131, 558–566 (2019).

    https://doi.org/10.1007/s00508-019-01548-1 (abgerufen am 04.03.2024).
  4. Hilberg, T. Programmed Sports Therapy (PST) in People with Haemophilia (PwH) “Sports Therapy Model for Rare Diseases”. Orphanet J Rare Dis 13, 38 (2018).

    https://doi.org/10.1186/s13023-018-0777-7 (abgerufen am 04.03.2024).
  5. Srivastava A, et al.: WFH Guidelines for the Management of Hemophilia, 3rd edition. Haemophilia. 2020:00: 1–158.

    Verfügbar unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/086-005l_S2k_Synovitis-bei-Haemophilie_2023-02.pdf (abgerufen am 04.03.2024).
  6. Runkel, B., Czepa, D., Hilberg, T. (2016): RCT of a 6-month programmed sports therapy (PST) in patients with haemophilia – Improvement of physical fitness. Haemophilia,
    22: 765-771. https://doi.org/10.1111/hae.12957 (abgerufen am 04.03.2024).
  7. Lassandro G, Accettura D, Giordano P. Promoting Sports Practice in Persons with Hemophilia: A Survey of Clinicians' Perspective. Int J Environ Res Public Health. 2021 Nov
    11;18(22):11841. doi: 10.3390/ijerph182211841. PMID: 34831596; PMCID: PMC8625842.
  8. Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e. V. (GTH): S2k-Leitlinie Synovitis bei Hämophilie, Stand: 02.12.21, 2. akt. Aufl. 2022; gültig bis 14.01.2027.

    Verfügbar unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/086-005l_S2k_Synovitis-bei-Haemophilie_2023-02.pdf (abgerufen am 04.03.2024).
  9. Czepa, D., von Mackensen, S., Hilberg, T. (2013): Haemophilia & Exercise Project (HEP): The impact of 1-year sports therapy programme on physical performance in adult
    haemophilia patients. Haemophilia, 19: 194-199. https://doi.org/10.1111/hae.12031 (abgerufen am 04.03.2024).
     

EXA/DE/HG/0323