Sozialrecht

Allgemeines

Die Hämophilie oder das Von-Willebrand-Syndrom (VWS) bringen nicht nur gesundheitliche Herausforderungen mit sich, sondern können Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche haben. Das Sozialrecht ist ein wichtiger Baustein, der dazu dient, Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen. Dadurch wird es Menschen mit einer chronischen Erkrankung ermöglicht, zahlreiche Leistungen und Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, die dazu beitragen können, ihren Alltag besser zu bewältigen und ihre Lebensqualität zu steigern.

Einen ersten Überblick finden Sie auf dieser Seite. Holen Sie sich bei Bedarf Hilfe und lassen Sie sich von einer Vertrauensperson und den Expert:innen in entsprechenden Beratungsstellen unterstützen. 

Hier finden Sie außerdem unsere kostenlose Broschüre zum Thema „Sozialrecht“ – als Download oder zum Bestellen.

Grad der Behinderung und Pflegegrad

Definition für „Chronisch krank“

Eine Person gilt gemäß der Chroniker-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) als schwerwiegend chronisch krank, wenn:

  • die behandlungsbedürftige Erkrankung seit mindestens einem Jahr besteht und 
  • die Erkrankung eine Dauerbehandlung erfordert (mindestens einmal pro Quartal).1

Zusätzlich muss mindestens eines der folgenden Merkmale erfüllt sein:

  • Pflegegrad 3 oder höher
  • Es liegt ein Grad der Behinderung (GdB) oder ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 60 vor oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60.
  • Die Erkrankung erfordert eine kontinuierliche medizinische Versorgung, um eine Verschlechterung der Lebenserwartung oder Lebensqualität zu verhindern.1

Grad der Behinderung

In Deutschland gilt der Grad der Behinderung (GdB) als zentrale Kennzahl im Sozialrecht. Die Einteilung erfolgt für jede Erkrankung nach festgelegten Kriterien, für die der Antragstellende entsprechende Nachweise erbringen muss, z.B. in Form von ärztlichen Bescheinigungen.2 Bei der Hämophilie und anderen plasmatischen Blutungserkrankungen erfolgt die Einteilung auf Basis der in der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) genannten Kriterien. Je höher der Schweregrad der Erkrankung und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen sind, desto höher fällt in der Regel der zuerkannte Grad der Behinderung aus:3

GdB 20:           Leichte Hämophilie mit Restaktivität von antithrombotischem Globulin (AHG) über 5%

GdB 30-40:     Mittelschwere Form mit 1-5% AHG mit seltenen Blutungen

GdB 50-80:     Mittelschwere Form mit häufigen (mehrfach jährlich ausgeprägten) Blutungen

GdB 80-100:   Schwere Form mit weniger als 1% AHG

Der Antrag auf Feststellung des GdB nach dem Schwerbehindertenrecht ist inklusive aller aktuellen Gutachten, ärztlichen Berichte und einer detaillierten persönlichen Beschreibung der Einschränkungen bei Ihrem zuständigen Versorgungsamt einzureichen. Der Feststellungsbescheid ist dann unbefristet gültig, kann jedoch jederzeit überprüft und geändert werden.2

Tipp: Jede Entscheidung wird vom Versorgungsamt individuell getroffen. Dokumentieren Sie daher von Anfang an jede Beeinträchtigung, die Ihnen durch die Erkrankung entsteht. Sammeln Sie alle relevanten Nachweise und haben Sie Geduld – die Beantragung ist ein komplexer und oft auch zeitintensiver Vorgang.

Bei einem GdB von mindestens 50 können Sie zudem einen Schwerbehindertenausweis beantragen. Dieser Ausweis bietet Ihnen z.B. im Arbeitsleben einen umfassenderen Kündigungsschutz und weitere sogenannte Nachteilsausgleiche.

Bereits ab einem GdB von 30 und 40 können Sie im Einzelfall eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Personen erwirken, z.B. wenn Ihnen eindeutige Wettbewerbsnachteile auf dem Arbeitsmarkt drohen. Erkundigen Sie sich bei Bedarf bei der Bundesagentur für Arbeit (BfA).

Pflegegrad

Sind Sie bei Ihrer Therapie und im Alltag auf Hilfe anderer angewiesen, können Sie einen Pflegegrad beantragen, welcher Sie zum Bezug von gesetzlich verankerten Pflegeleistungen berechtigt. Die fünf Pflegegrade orientieren sich an der Schwere der Beeinträchtigungen und werden durch Gutachter:innen des Medizinischen Dienstes Ihrer Krankenkasse festgestellt. Entscheidend bei der Einstufung ist vor allem der Grad der Selbstständigkeit der erkrankten Person. 4

Tipp: Detaillierte Informationen zum Pflegegrad, zur Beantragung und den damit verbundenen Leistungen können Sie auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) im Bereich „Pflegebedürftig – was nun?“ nachlesen.

Frau liest in einem Buch

Finanzielle und andere Hilfen

Als chronisch kranke Person können Sie verschiedene Hilfen in Anspruch nehmen.

Steuerrecht

Chroniker:innen können außergewöhnliche Belastungen im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung steuerlich geltend machen und bestimmte Freibeträge oder Pauschalen in Anspruch nehmen. Auch für die Zuzahlungen bei Medikamenten und Hilfsmitteln gibt es eine einkommensabhängige Belastungshöchstgrenze. Steuerberater:innen können Sie zum Einkommensteuergesetz (EStG) individuell beraten.

Barrierefreiheit

Für einen barrierefreien Umbau der Wohnung können Chroniker:innen Zuschüsse beantragen. Anlaufstellen sind u.a. die zuständige Kranken- oder Pflegekasse oder das Sozialamt. Darüber hinaus gibt es Vergünstigungen im öffentlichen Nahverkehr und vieles mehr. Behindertenverbände und -organisationen beraten Sie dazu.2

Psychologische Unterstützung

Fühlen Sie sich durch die Folgen Ihrer Erkrankung stark belastet, können Sie z.B. in einer Schulung für Patient:innen Copingstrategien erlernen oder eine individuelle Psychotherapie machen. Beide Maßnahmen müssen ärztlich verordnet werden, damit Ihre Krankenkasse die Kosten übernehmen kann.

Versicherungen

Um sich privat möglichst gut abzusichern, empfehlen Expert:innen je nach Bedarf und Lebenssituation z.B. eine Berufsunfähigkeits-, Reiserücktritts- oder Auslandskrankenversicherung abzuschließen. Erkundigen Sie sich genau über die Konditionen, damit Sie als chronisch kranke Person den vollen Versicherungsschutz genießen können.

Nachteilsausgleiche in Schule, Ausbildung und Studium

Schule

Oft schränken die individuellen Symptome Schüler:innen in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so weit ein, dass sie nicht ausreichend gefördert werden können. Dann können gemeinsam mit der Schulleitung und den Lehrer:innen individuelle Nachteilsausgleiche wie weniger Hausaufgaben, verkürzte Klassenarbeiten bzw. eine längere Bearbeitungszeit oder auch Homeschooling vereinbart werden.2

Ausbildung und Studium

Chronisch kranke Jugendliche haben die Möglichkeit, sich Schwerbehinderten gleichstellen zu lassen. Das berechtigt sie dann, z.B. weitreichende Unterstützung bei der Berufswahl, Zuschüsse für sich als Auszubildende und ihren Ausbildungsbetrieb zu erhalten. Umfangreiche Informationen finden Sie dazu z.B. im Portal REHADAT. Auch für Studierende mit einer chronischen Erkrankung gibt es vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten, wie etwa eine Dreitzulassung oder verlängerte Bearbeitungszeiten für Leistungsnachweise. Auskunft geben die Sozialberatungen der Studierendenwerke und die beauftragte Person für Belange behinderter Studierender.2

Nachteilsausgleiche im Berufsleben

Arbeitsrechtliches

Im Arbeitsleben haben Schwerbehinderte sowie chronisch Erkrankte, die ihnen gleichgestellt wurden, ebenfalls zusätzliche Rechte.2

Betroffene

  • genießen einen erweiterten Kündigungsschutz,
  • erhalten zusätzliche Urlaubstage,
  • haben das Recht auf Teilzeitarbeit,
  • erhalten bei Bedarf Hilfsmittel für ihren Arbeitsplatz und 
  • können bei Bedarf eine berufliche Rehabilitation oder eine Umschulung beantragen.

Können Betroffene einen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, besteht die Möglichkeit, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen.

Tipps zur Kommunikation

Hämophilie und VWS sind keine ansteckenden oder meldepflichtigen Erkrankungen. Schränkt die Erkrankung Betroffene nicht in ihrer Arbeitsleistung ein, gibt es keinen zwingenden Grund, Kolleg:innen oder Arbeitgebende darüber zu informieren.

Ein offener Umgang mit der Erkrankung hingegen kann auch vorteilhaft sein. Denn verstehen Vorgesetzte und Kolleg:innen die Notwendigkeit regelmäßiger ärztlicher Termine oder flexibler Arbeitszeiten, so beugt dies häufig Konflikten vor.

Man mit Tablet und Kaffe

Rat und Hilfe

Folgende regionale Ämter und Institutionen beraten bzw. gewähren Unterstützung und Leistungen für Menschen mit einer chronischen Erkrankung:

  • Bundesagentur für Arbeit (BfA): Arbeitsvermittlung, finanzielle Förderung von beruflicher Rehabilitation, Anträge auf Gleichstellung
  • Berufsbildungswerke: spezielle Ausbildungsangebote
  • Berufsförderungswerke: Um- und Fortbildungsangebote
  • Betriebsärztlicher Dienst: arbeitsmedizinische Beratung und Empfehlungen
  • Betriebsrat: Interessenvertretung und Förderung von Eingliederung
  • Deutsche Rentenversicherung: Leistungsträger für Rehabilitation und Erwerbsminderungsrente
  • Integrationsamt: berät, fördert und kontrolliert Wiedereingliederung und Kündigungsschutz
  • Krankenkasse: zuständig für Krankengeld, medizinische Rehabilitation und Befreiung von Zuzahlungen
  • Reha-Servicestellen: koordinieren Zusammenarbeit unterschiedlicher Ansprechpartner:innen für die Rehabilitation
  • Schwerbehindertenvertretung: Beratung und Förderung von Eingliederungsmaßnahmen
  • Versorgungsamt: Feststellung von Schwerbehinderung und Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen

Auch Patienten- und Selbsthilfeorganisationen beraten und unterstützen Menschen mit Schwerbehinderung sowie chronisch Kranke:

Informationsportale des Bundes

Ausführlichere Informationen finden Sie in der Broschüre „Alles, was Recht ist – Informationen für Patient:innen mit chronischen Erkrankungen“, die Sie im Bereich Bestellservice“ downloaden können.

Referenzen

  1. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Umsetzung der Regelungen in § 62 für schwerwiegend chronisch Erkrankte („Chroniker-Richtlinie“), Stand: 17. November 2017. URL: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1530/RL-Chroniker_2017-11-17.pdf
  2. Bundesministerium der Justiz (BMJ) – Gesetze im Internet: Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch: Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, 22.12.2022. URL: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/SGB_IX.pdf
  3. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Versorgungsmedizinverordnung – Versorgungsmedizinische Grundsätze (VMV) URL: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/k710-versorgungsmed-verordnung.pdf?_blob=publicationFile&v=2
  4. Bundesministerium der Justiz (BMJ) – Gesetze im Internet: Sozialgesetzbuch (SGB) Elftes Buch, 22.12.2023. URL: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_11/SGB_11.pdf

EXA/DE/HG/0322