Hämophilie bei Frauen

Inwiefern sind Frauen von Hämophilie betroffen?

Bislang lag der Fokus in der Behandlung von Hämophilie vor allem auf männlichen Patienten. Inzwischen untersuchen Expert:innen jedoch zunehmend die Auswirkungen der Bluterkrankheit auf Konduktorinnen (Trägerinnen der Genmutation). Die genaue Prävalenz der betroffenen Frauen kann zum jetzigen Zeitpunkt nur geschätzt werden: In der Forschung wird aktuell davon ausgegangen, dass in der Familie eines männlichen Hämophilie-Patienten vermutlich 3 bis 5 weibliche Familienmitglieder Konduktorinnen sind und davon mindestens eine an verstärkten Blutungssymptomen leidet.1,2

Oftmals wird der Konduktorinnenstatus einer betroffenen Frau allerdings gar nicht oder erst später in ihrem Leben festgestellt. Eine genetische Untersuchung und Diagnosestellung erfolgen häufig im Zuge der Schwangerschaft oder Geburt des ersten Kindes, bei einem Durchschnittsalter von 30 Jahren.3 Dabei zeigen etwa ein Drittel der registrierten Konduktorinnen niedrige Faktorspiegel, wie sie einer leichten Hämophilie entsprechen.2

Eine neue Nomenklatur der International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) legt erstmals einen international geltenden Diagnosestandard für Konduktorinnen fest. Ab einem Faktor-VIII/IX-Spiegel <0,40 IE/ml gelten Mädchen bzw. Frauen als Hämophilie-Betroffene. Zudem wurden folgende Schweregrade definiert: Bei Faktorspiegeln zwischen 0,4 und 0,05 IE/ml liegt eine milde Hämophilie vor, zwischen 0,01–0,05 IE/ml eine moderate Erkrankungsform und <0,01 IE/ml eine schwere. Des Weiteren soll berücksichtigt werden, ob die Erkrankung symptomatisch oder asymptomatisch auftritt.

Frauen werden demnach nicht mehr lediglich als Trägerinnen der Genmutation eingestuft, sondern zählen gemäß der obigen Kategorisierung ebenfalls als Betroffene der Erkrankung.

Ziel ist, dass dadurch betroffene Frauen schneller identifiziert und entsprechend behandelt werden können sowie insgesamt mehr im diagnostischen und therapeutischen Kontext wahrgenommen werden.4

Hinweis: Takeda berücksichtigt die Nomenklatur der ISTH und schließt mit dem Begriff „Konduktorin“ in diesem und allen anderen Texten dieser Website weibliche Betroffene mit und ohne Symptome ein.

Welche Symptome können bei Frauen auftreten?

Konduktorinnen können selbst bei einer normalen Faktorkonzentration starke Symptome zeigen.1 Viele der Krankheitszeichen ähneln denen von Männern mit leichter bis moderater Hämophilie wie etwa:5,1,3

  • Epistaxis (Nasenbluten)
  • Leicht entstehende Hämatome (Blutergüsse)
  • Blutungen im Mundraum, z. B. nach Zahnextraktionen
  • Anhaltende Blutungen nach operativen Eingriffen, z. B. Tonsillektomie (Mandeloperation)

Hinzu kommen bei Konduktorinnen Beschwerden im Zusammenhang mit der Menstruation, der Schwangerschaft und Geburt sowie der Verhütung:

  • Viele Betroffene leiden an einer Menorrhagie (übermäßige Menstruationsblutungen).5 Die Blutungen können zudem länger als bei gesunden Frauen andauern, insbesondere um die Menarche (erste Regelblutung) und die Perimenopause (die Jahre unmittelbar vor und das Jahr nach der letzten Regelblutung). Heranwachsende Mädchen können bereits zu Beginn ihrer Menstruation durch starke Blutungen auffallen, die überdies aufgrund des Entwicklungsstadiums unregelmäßig auftreten können.3
  • Auch während der Ovulation (Eisprung) kann es zu Blutungen kommen.3
  • Postpartale Blutungen sowie Blutungen im Zuge einer Fehlgeburt oder eines Schwangerschaftsabbruchs können bei Konduktorinnen ebenfalls stärker ausfallen als bei nicht betroffenen Frauen.2,3
  • Außerdem wurde nach Einsetzen eines Intrauterinpessars (Kupferspirale) eine erhöhte Blutungsneigung bei Konduktorinnen beobachtet.2

Gelenkgesundheit bei Konduktorinnen

Gelenkbeschwerden stehen vorrangig bei männlichen Hämophilie-Patienten im Fokus der Therapie, können jedoch auch bei Frauen auftreten. Konduktorinnen mit einer niedrigen Konzentration an Gerinnungsfaktor VIII (FVIII) bzw. IX (FIX) können ebenso häufig Gelenkeinblutungen erleiden wie betroffene Männer mit demselben Schweregrad.2 Oft bleiben sie bei Frauen aufgrund einer mangelnden Diagnose der Grunderkrankung jedoch unentdeckt und unbehandelt.5 Untersuchungen haben gezeigt, dass 4 bis 19 % der Konduktorinnen von einer Hämarthrose betroffen sind.2 Dementsprechend können auch bei ihnen subklinische Gelenkeinblutungen zu einer eingeschränkten Beweglichkeit der betroffenen Gelenke und zu muskuloskelettalen Veränderungen führen.2

Weitere Informationen über die Bedeutung der Gelenkgesundheit bei Blutgerinnungsstörungen finden Sie hier.

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Warum ist die Diagnose für Konduktorinnen wichtig?

In vielen Fällen werden Konduktorinnen erst dann als solche erkannt, wenn bei einem männlichen Verwandten eine Hämophilie diagnostiziert wird.1 Dabei können erste Anzeichen für eine erhöhte Blutungsneigung auch bei weiblichen Betroffenen bereits in jungen Jahren auftreten – oft wird sie mit Beginn der Menstruation deutlich.3 Daher ist eine frühzeitige Kommunikation wichtig, wenn eine erhöhte Blutungsneigung oder gar eine Blutgerinnungsstörung wie Hämophilie in der Familie bekannt ist. So können Mädchen früh mit der Erkrankung und potenziellen Symptomen vertraut gemacht werden.3

Auch entsprechende medizinische Untersuchungen sollten bereits in der Kindheit oder im Jugendalter durchgeführt werden, wenn ein erblich bedingtes Risiko für eine Hämophilie oder der Verdacht darauf besteht.3 Bei vielen Konduktorinnen erfolgen die Diagnose des Gendefekts und die Diagnose einer Blutgerinnungsstörung in einem Schritt, meist im Zuge der Familienplanung oder im Rahmen der Geburt ihres ersten Kindes.2 Dabei kann ein genetischer Test deutlich früher Aufschluss geben, sodass Betroffene aufgeklärt und bei Beschwerden gezielt behandelt werden können.

Schwangerschaft und Geburt

Bei rund zwei Dritteln der Hämophilie-Betroffenen geht die Erkrankung auf eine Vererbung des Gendefekts zurück.2 Daher bietet sich für Frauen, die Konduktorinnen sind oder sein könnten, bereits im Rahmen der Familienplanung eine humangenetische Beratung an. Die entsprechenden Untersuchungen können klären, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Vererbung an die Kinder und wie hoch das eigene Blutungsrisiko bei der Entbindung liegt.3

Es empfiehlt sich, bereits in der frühen Schwangerschaft einen Geburtsplan zu erstellen. So können die Bedürfnisse der Mutter und des Kindes rechtzeitig berücksichtigt und möglichen Risiken für beide vorgebeugt werden.2 Die Entbindung sollte in einer Klinik mit hämostaseologischer Expertise und von einem interdisziplinären Behandlungsteam begleitet stattfinden. Vor allem bei der ersten Schwangerschaft kann dies zum Sicherheitsgefühl der werdenden Mutter beitragen. Auch eventuelle postpartale Blutungen können dort rasch behandelt werden.3

Erfahrungen aus Betroffenensicht: Bloggerin Sarah berichtet über Familienplanung, Schwangerschaft und Geburt als Konduktorin. Ihre Videos finden Sie hier.

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Referenzen

  1. James PD. Women and bleeding disorders: diagnostic challenges. Hematology Am Soc Hematol Educ Program. 2020 Dec 4;2020(1):547–552.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7727580/pdf/bloodbook-2020-547.pdf (abgerufen am: 03.11.2023).
  2. D’Oiron, Women and girls with haemophilia: Lessons learned. Haemophilia. 2021;27:75-81. https://doi.org/10.1111/hae.14094 (abgerufen am: 03.11.2023).
  3. Galen van, Europäische Behandlungsprinzipien für Frauen und Mädchen mit erblich bedingter Blutungsneigung. Haemophilia. 2021;27:837-847.
https://doi.org/10.1111/hae.14379 (abgerufen am: 03.11.2023).
  4. Galen van KPM, d’Oiron R, James P, et al.: A new hemophilia carrier nomenclature to define hemophilia in women and girls: Communication from the SSC of the ISTH. J Thromb Haemost. 2021;19:1883–1887. Verfügbar unter: https://doi.org/10.1111/jth.15397 (abgerufen am 14.11.2023).
  5. Srivastava A, et al.: WFH Guidelines for the Management of Hemophilia, 3rd edition. Haemophilia. 2020:00: 1–158. Verfügbar unter:
https://doi.org/10.1111/hae.14046 (abgerufen am: 03.11.2023).

EXA/DE/HG/0283